Papa

Zu meinem Vater hatte ich die meiste Zeit lang ein schwieriges Verhältnis. Dafür gab es vielerlei Ursachen. Er ist hart, ich bin zart. Vielleicht lag’s am Ende aber im Wesentlichen einfach darin begründet, dass ich Abgrenzung statt Nachahmung gesucht habe. Ich wollte für mich immer etwas anderes als das, was er für mich vorgesehen hatte. Die Jahre waren also von Konflikten geprägt. Sei’s drum, so ist das halt im Leben. Und das Leben verändert sich. Es hat mit den Jahren meinen Vater verändert und es hat mich ebenso verändert. Und diese Veränderungen sorgten für Frieden. Früher hat er mich permanent zur Weißglut gebracht und heute, heute kann ich seine Allüren friedlich annehmen. Zum Beispiel sagt er immer so … so Sätze. Und diese Sätze kommen in gewissen Situationen auf Knopfdruck quasi nach dem Muster IF-THEN-ELSE. Als wäre mein Papa gar kein richtiger Mensch, sondern ein Algorithmus. Also sind seine Reaktionen total vorhersehbar und das macht das Zusammenleben (theoretisch) recht einfach.

„Hänner noch genuch Ärwet im Gschäft?“

– 1. Satz nach der Begrüßung

Das ist ganz wichtig, dass man Arbeit hat. Weil wenn man keine Arbeit hat, ist schlecht. Wenn man zwar Arbeit hat, aber zu wenig Arbeit, ist auch nicht so gut. Weil man dann vielleicht irgendwann keine Arbeit mehr hat, weil eventuell gerade die Arbeit ausgeht. Also sollte man lieber zu viel Arbeit haben als zu wenig. Einen Faulenzer wie mich bringt die mögliche Antwort ganz schön ins Schwitzen. Papa hingegen hat in seinem ganzen Leben eigentlich nur gearbeitet. Und jetzt ist das Alter und das Arbeiten geht nicht mehr so gut. Viel Platz wird frei und diesen Platz muss man nun mit anderen Dingen füllen. Was nicht leicht ist, wenn man nur Arbeit kennt. Und müßig sein geht leider auch nicht. Weil wenn man nichts leistet, dann hat man auch nichts verdient. Und im Sitzen kann man schon mal gar nichts leisten. Schließlich ist das Sitzen und kein Arbeiten. Jedenfalls, wenn die Frage variiert (z.B. was machst du heute?), darf man nie nie nie sagen, nichts. Das kann Papa nicht nachvollziehen, das findet er komisch. Außerdem wird man dann unmittelbar verhaftet, um bei irgendwas zu helfen. Also sag ich immer, ich muss noch das und das und das machen (kann er zum Glück nicht beurteilen, was ich am Computer so treibe, das sieht für ihn alles gleich aus).

Skizze: Arbeiten

„Machn doch die Dire zu!“

– wenn man eine Tür offen gelassen hat

Bekanntlich hat eine Tür zwei Zustände. Entweder ist eine Tür geöffnet oder eine Tür ist geschlossen. Eigentlich ganz einfach. Strenggenommen gibt es aber noch Grauzonen, weil man eine Tür beispielsweise auch anlehnen kann. In diesem Fall ist die Tür weder richtig geschlossen noch richtig geöffnet, aber das sind Details. Jedenfalls, diese zwei Zustände sind nicht zu jeder Zeit beliebig, sondern für Papa sind die Zustände situativ eindeutig definiert. Wenn jemand durch eine Tür hindurch geht, ist die Tür offen. Wenn niemand durch die Tür hindurch geht, ist die Tür zu. Aber so einfach ist das halt auch wieder nicht. Weil im Alltag muss man manchmal dauernd zwischen zwei Räumen hin und her wechseln. Oder man will Gesprächen lauschen, die im Nachbarraum stattfinden. Oder man will mal kurz lüften. Da gibt’s unzählige Gründe, warum eine Tür halt auch mal geöffnet sein muss, obwohl niemand durch geht. Man kann das hundertmal hin- und her erklären, für Papa zählt das alles nicht, entweder auf oder zu. Außer, er muss selbst grad zwischen zwei Räumen wechseln, da darf die Tür dann auch mal aufbleiben.

Skizze: Tür

„Machn doch die Lichder aus!“

– wenn ein Licht nicht ausgeschaltet wurde

Theoretisch gilt bei diesem Sachverhalt das gleiche wie bei der Tür. Es gibt zwei binäre Zustände und einen festen Algorithmus, welcher die Kriterien für diese zwei Zustände definiert. Und in leeren Räumen darf halt kein Licht brennen. Sonst gibt’s Ärger vom Hausherren. Dagegen kommt man erstmal nicht an. Sehe ich ja eigentlich auch so. Nachhaltigkeit ist mir nämlich wichtig. Problem ist nur, dass dies operativ so schwierig umzusetzen ist. Da machste dir ein Licht an, bist schön beschäftigt und wirst kurz gerufen. Aber wie das halt immer so ist, wenn man kurz gerufen wird, dabei bleibt es meistens nicht und schon wurde man vom Universum verschluckt. Und irgendwann hat man halt vergessen, das da ja noch was war (das Licht). Das ist einfach nicht zu vermeiden. Natürlich vergisst Papa selbst auch ab und an mal ein Licht auszumachen, aber das würde er natürlich selbst nie zugeben. In diesen Fällen hat einfach jemand anderes vergessen, das Licht auszumachen.

Skizze: Glühbirne

„Junge, raaach net so viel.“

– wenn ich eine Zigarette rauche

Dieser Appell ist eigentlich wohlwollend gemeint. Das Problem ist nur, ich hab diesen Satz schon so oft gehört. Oft bedeutet quasi über 20 Jahre lang, gleicher Satz, gleicher Wortlaut, bei jeder Zigarette. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft ich diesen Satz gehört habe. Das wird mittlerweile in meinem Signaleingangsbuffer sofort aussortiert. Das ist ein bisschen so wie, wenn man neben einem Bahngleis wohnen würde oder neben einem Kirchturm oder neben einer Hauptverkehrsstraße. Irgendwann nimmt man diese „Störgeräusche“ nicht mehr wahr. Das Audiosignal wird zwar physisch aufgezeichnet, aber die Firewall leitet das Signal nicht weiter. Das Gehirn geht hin und löscht die Wahrnehmung, bevor die Information an das Bewusstsein weiter gegeben wird. Insofern weiß ich gar nicht, ob Papa das immer noch sagt, wenn er mich beim Rauchen „erwischt“.

Skizze: Zigarette

„Die Arschlecher! Die gkern all verbrennt!“

– wenn er Nachrichten im Fernsehen schaut

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass es im Internet und in den sozialen Netzwerken ein Problem mit der Debattenkultur gibt. Besonders auf Twitter wird verbal gerne und viel rumgemetzelt. Aber ich sag euch, bei uns im Wohnzimmer herrscht der gleiche Krieg. Also zumindest wenn Papa den Fernseher einschaltet und Nachrichten schaut, dann kommt er gar nicht mehr aus der Wallung heraus. Natürlich wird hier fein differenziert. Die EU – das sind keine Arschlöcher, das sind nämlich Verbrescher (verbrennt gkern se trotzdem). Das ist quasi Twitter in Echt. Als Kind habe ich gedacht, das wäre ein spezifisches Problem dieser Nachkriegsgeneration. Ich hab mir hundertmal geschworen, dass ich nie derart schelten und schimpfen werde. Und wenn wir mal groß sind, dann machen wir das ganz anders. Und heute merke ich, die Kinder von heute sind auch nicht anders als die Kinder von damals. Überall wird nur geschimpft, sich aufgeregt und verurteilt. Das einzige, was sich verändert hat, sind die Streitthemen. Alles ist verkehrt, nichts ist richtig. Und die Welt steht immer kurz vor dem Untergang.

Skizze: Papa beim Fernsehen

Maaaaaaaaaaarco

– wenn er ein Problem mit dem Computer hat

Papa mausert sich überraschenderweise langsam aber sicher zu meinem Lieblingsanwender. Wenn bei uns zuhause, etwas nicht geht, richten sich automatisch alle Blicke auf mich. Ich hab zwar Informatik studiert, aber das heißt noch lange nicht, dass ich mit dem Computer auskenne. Beim Schreiner gibt’s ja auch Unterschiede, es gibt Schreiner für den Innenausbau, Schreiner für den Fensterbau, Schreiner für Möbel, das hört quasi gar nicht mehr auf. Gar nicht mehr auf hört auch der Pegel auf dem A.

Papa: Maaaaaaaaaaaaaarco! Komm mal! Da geht was nicht am Computer!
(lasse natürlich alles stehen und liegen)
Ich: Zeig mal. Was willst du genau machen?
Papa: Ich will [das und das]* machen. *beliebigen Vorgang einsetzen
(Papa klickt seltsam am Windows rum)
(ich denke: seltsamer Klickweg, aber gut, umständlich, ist aber nicht direkt falsch)
Papa: Komisch! Jetzt geht’s.

Skizze: Marco

„Mama, kumm mol!!!!!!“

– wenn er ein beliebiges Problem hat (außer am Computer)

Also die Mama ist seine Frau und eigentlich meine Mama und nicht seine. Die Problemlösungsstrategie funktioniert jedoch trotzdem ganz hervorragend. Kein Wunder auch, dass ich unter diesen Umständen so ein Mamakind geworden bin. Ich hab das von klein auf verinnerlicht. Hast du ein Problem, rufst du die Mama und alles wird gut. Funktioniert bloß später im Leben nicht mehr so richtig. Also bei mir jetzt, bei Papa zieht das immer noch ganz gut. Was die Digitalisierung betrifft, hab ich mit meinen Eltern ja prinzipiell keine Nachsicht. Ich versuche immer Anwendungsfälle zu finden, welche die Vorteile der Nutzung von Smartphone und Tablet für meine Eltern erschließt. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Beispielsweise bin ich heilfroh, dass Papa noch nichts über das Usertracking über GPS gehört hat. Sonst könnte sich Mama wirklich nirgendwo mehr verstecken und bekäme gar nichts mehr geregelt, weil Papa dauernd Hilfe braucht.

Skizze: Mama

„Des ist doch alles Scheiße!“

– wenn etwas nicht funktioniert

Okay, okay, zu sagen, „Oh ist das toll! Es funktioniert nicht!“ wäre jetzt auch übertrieben. Das ist einfach doof, wenn etwas anderes nicht so will, wie man selbst. Wenn man im Zeitalter von Miele, Hilti und Mercedes-Benz aufgewachsen ist, ist vielleicht auch ein bisschen die Realität verloren gegangen. Man tut sich einfach schwer mit dem Sachverhalt, dass defekte Smartphones einfach ausgetauscht werden. Einerseits, weil das billiger ist als die Sache zu reparieren, andererseits weil das Innenleben dieser Geräte sowieso niemand mehr so richtig in Gänze versteht (dann kann man das nämlich auch nicht mehr reparieren). Und eigentlich ist das ja auch nicht falsch, was Papa da sagt. Wenn etwas nicht funktioniert, das ist ja auch Scheiße. Jedenfalls, wenn Papa dann mal lospoldert, stehe ich meistens still daneben und denke, okay, eigentlich hat er ja Recht (würde ich aber nie zugeben). Papa gegenüber sage ich dann, guck, das ist nur, weil du das und das falsch gemacht hast, und deswegen funktioniert das so nicht.

Skizze: Toilette

„Guten Morgen! Gut geschlafen?“

– morgendliche Begrüßung

Morgens bin ich müde. In der Regel sehr, sehr müde sogar. Und schlecht gelaunt sowieso, weil da schon wieder ein Tag ist, der noch ganz am Anfang steht und bewältigt werden will. Deswegen müssen alle Dinge auf ein Minimum reduziert werden. Denken, Bewegung, Sprechen – alles nur im Notfall. Solange bis ich nicht mehr müde bin. Dieser Sachverhalt ist in der Familie eigentlich mittlerweile recht gut geshared und alle wissen Bescheid. Nur Papa nicht. Also eigentlich weiß der auch Bescheid, bloß fruchtet dieses Bescheid wissen irgendwie nicht. Deswegen brezelt Papa mir jeden Morgen erstmal ein munteres „Guten Morgen! Gut geschlafen?“ auf die Ohren. Er lässt sich auch nicht austricksen, in dem man eine Antwort andeutet („skuhapwiudhfpa“). Da harkt er gleich nach! Und dann steht man schon mit zwei Antworten in der Kreide, obwohl die innere CPU noch gar nicht richtig gebootet hat und keine Outputs liefern kann. Hat man eigentlich gar keine andere Wahl als aggro zu werden. Ich meine, wenn mal ein Frauenzimmer über Nacht zu Besuch war, da kann mal ausnahmsweise morgens eine Sonderroutine fahren, aber Papa ist halt kein Frauenzimmer, sondern Familie ersten Grades, denen kann ich doch nichts vorspielen.

Skizze: Sonnenaufgang

„Ouh, was gibt es denn gutes zu essen!“

– wenn er in die Wohnung kommt und jemand kocht

Er freut sich dann richtig und seine Augen beginnen zu leuchten. Meistens kommt er dann an den Herd und stellt weitere Fragen. „Was isn des?“ „Und des, was isn des?“ „Hast du da Öl oder Butter dran gemacht?“ „Und warum machst du das so und nicht so?“ Er begeistert sich richtig! Papa kann übrigens auch kochen. Allerdings nur für sich selber. Wenn Papa sich etwas kocht, dann „brutzelt“ er sich meistens was in Pfanne (was er halt so im Kühlschrank findet). Ich weiß aber nicht, ob das schon als Kochen durch geht. Ich hatte ja mal eine Freundin, die hatte mir diese Frage auch immer gestellt, wenn sie abends zu mir in die Wohnung kam. Nur hat sie statt „gut“ das temporale Adverb „heute“ benutzt. Das hat sich dann im Bauch schon etwas komisch angefühlt.

Skizze: Kochen (Symbolisch)

„Mir ist kalt“

– wenn ihm kalt ist

Das sage ich auch immer, wenn mir kalt ist. Ich glaub, das würden die meisten Menschen so sagen, wenn ihnen kalt wäre. Interessant ist aber der Unterschied zwischen dem eigenen Kalt und dem Kalt der Anderen. Weil wenn die anderen kalt haben, aber Papa nicht kalt ist, erhält man gerne ein „Ooooh! Ist doch net kalt! Was machenern im Winder? Erfriere dedener“. Mit Argumenten braucht man es hier gar nicht probieren. Als Kind hab ich es eigentlich nie erlebt, dass es Papa mal zu kalt war. Was auch logisch ist, denn bei dieser Temperatur wäre ich längst erfroren (und ich lebe ja noch). Heute hat sich das umgedreht. Das hat wohl vorrangig mit dem Alter zu tun. Heute ist es Papa ganz oft kalt, wo es mir hingegen nur ein bisschen kalt, aber nicht richtig kalt ist. Bei diesen Temperaturen hat übrigens Mama meistens noch Hitze. In diesen Fällen bekommt Papa dann eine kuschelige Wolldecke, Mama zieht ihren Pullover aus und ich bekomm genau die Temperatur, die ich brauch (mitunter kann die Mitte bei Kompromissen schon praktisch sein).

Skizze: Kalt (symbolisch)

„Kinscht mer ach ä’Glas euschenke?“

– wenn jemand einen Wein trinkt

Zum Wohl! Die Pfalz!

Skizze: Prost!

Ja, so ist das mit meinem Papa. Und wenn ich links und rechts bei Freunden schaue, dann sehe ich lauter solche Papas. Besondere Unikate mit seltsamen Allüren, die beratungsresistent ihr Ding machen und auf liebenswerte Weise der engeren Familie das Leben verkomplizieren! Wenn man diesen Sachverhalt dann mal weiterdenkt, stellt man leider fest: „Ouh! Ich hab ja das gleiche Genmaterial!“ Und wer bin ich denn, dass ich annehmen könnte, dass ich mich im Alter anders verhalte? Seitdem frage ich mich natürlich, mit welchen putzigen Eigenheiten ich später wohl meinen engeren Kreis aufwühlen werde. „Hast du das iOS Update von gestern Abend schon eingespielt?“ „Guck mal, hier liegt Staub auf dem Regal!“ „Oah, ist das Durcheinander! Darf ich das Aufräumen?“ Wer weiß, wer weiß!

Über den Autor
Marco Hitschler wohnt in Mannheim und schreibt auf diesem Blog beliebige Texte in das Internet hinein. Sein Handwerk ist die Informatik und beruflich arbeitet er im Projektmanagement. Wenn man einmal mit dem Bloggen angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören. Furchtbar! Infolgedessen wird auf diesem Blog ganz kunterbunt in verschiedenen Formaten publiziert.
3 Kommentare
  1. Petra 20. August 2016

    So schön beobachtet!
    Es scheint überall gleich. Ich bekomm meist zu hören: „Kind, bischd so blass, schloofschd genuug?“
    „Isschd ach gscheit?“ (was ich echt nicht nachvollziehen kann?)
    „Stehd die Faferick noch?“
    „Ham se disch noch ned rausgschmisse?“ (Danke auch!)
    oder egal was ich grad handwerkliches mach:“Gebb mo her, isch mach der des emol schnell“

    Man könnte da – glaub ich – eine Zitatensammlung pro Generation anlegen?

  2. Heike 22. August 2016

    <3

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