Ein Medikament gegen Disclaimer

Diese Internetseite enthält Links zu anderen Internetseiten. Diese anderen Internetseiten haben natürlich nichts mit meiner eigenen Internetseite zu tun. Die dortigen Inhalte hat sich der jeweilige Seitenbetreiber ausgedacht, erstellt und veröffentlicht. Bevor ich einen Link auf eine andere Internetseite setze, prüfe ich mit viel Mühe, ob die Seite gegen geltendes Recht verstößt (obwohl ich mich damit eigentlich gar nicht auskenne). Natürlich habe ich keinen Einfluss darauf, ob dort morgen noch die gleichen Inhalte zu finden sind. Der Seitenbetreiber kann seine Internetseite schließlich jeden Tag verändern, umbauen und inhaltlich neu ausrichten. Ich kann das nicht jeden Tag kontrollieren. Dafür habe ich weder die Zeit noch die Kraft. Deswegen kontrolliere ich das nur auf Wunsch oder wenn ich zufällig über die Medien von einem Rechtsverstoß erfahre. Sollten dort wirklich böse Dinge vor sich gehen, dann lösche ich den Link natürlich sofort (falls ich mich überhaupt noch an den Link erinnere). So oder so, ich bin nur für die Inhalte auf dieser Internetseite verantwortlich, für die Inhalte auf den anderen Internetseiten bin ich nicht verantwortlich.

So etwas nennt man Disclaimer. Ein Disclaimer ist eine Verzichtserklärung. Im diesem Fall verzichtet man auf Haftung. Das ist ganz schön frech, aber scheinbar kann man damit die Haftung für eine spezifische Sache vorab ausschließen. In diesem Fall geht es um die verlinkten Inhalte (es gibt auch noch andere Disclaimer). Ein Disclaimer ist quasi die gleiche Kiste wie das Kleingedruckte in Kaufverträgen. Der Anbieter kann im Ernstfall sehr oft sagen, da guck, Dieses und Jenes habe ich von der Garantie ausgeschlossen. Solche Disclaimer findet man gefühlt auf neun von zehn Internetseiten im deutschsprachigen Internet. Mit dem Haftungsausschluss möchten sich die Seitenbetreiber vor Rechtsstreitigkeiten schützen. In den meisten Fällen ist der Disclaimer nicht in verständlicher Sprache (wie oben) formuliert, sondern in juristischer Fachsprache. Was dazu führt, dass all diejenigen, an welche der Haftungsausschluss gerichtet ist, ihn teilweise nicht mehr verstehen. Ein klassischer Disclaimer ist nachstehend aufgeführt.

Diese Website enthält Verknüpfungen zu Websites Dritter (”externe Links”). Diese Websites unterliegen der Haftung der jeweiligen Betreiber. Der Anbieter hat bei der erstmaligen Verknüpfung der externen Links die fremden Inhalte daraufhin überprüft, ob etwaige Rechtsverstöße bestehen. Zu dem Zeitpunkt waren keine Rechtsverstöße ersichtlich. Der Anbieter hat keinerlei Einfluss auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung und auf die Inhalte der verknüpften Seiten. Das Setzen von externen Links bedeutet nicht, dass sich der Anbieter die hinter dem Verweis oder Link liegenden Inhalte zu Eigen macht. Eine ständige Kontrolle der externen Links ist für den Anbieter ohne konkrete Hinweise auf Rechtsverstöße nicht zumutbar. Bei Kenntnis von Rechtsverstößen werden jedoch derartige externe Links unverzüglich gelöscht.

Geburtswehen in Hamburg

In Hamburg hat alles angefangen. Mit dem Urteil des Landgerichts vom 12. Mai 1998 wurde die Nabelschnur durchgeschnitten und die Erfolgsgeschichte des Link-Disclaimers war geboren. Vorangegangen war das erste Gerichtsverfahren in Deutschland, welches Hyperlinks auf Internetseiten thematisierte. In dem Rechtstreit lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Beklagte beleidigende Inhalte über eine missliebige Person auf seiner Internetseite verlinkte. Daraufhin wurde der Seitenbetreiber von der betroffenen Person auf Schadenersatz verklagt. Sehr interessant ist der Sachverhalt, dass die Internetseite des Beklagten einen Disclaimer enthielt. Geholfen hat das aber nicht, der Beklagte hat den Rechtstreit trotzdem verloren, musste Schadensersatz zahlen und den Link entfernen. Nach diesem Urteil verbreitete sich der Link-Disclaimer im deutschen Internet wie ein Virus. Warum es zu dieser Epidemie kam, ist das eigentliche Geheimnis!

Unter den Seitenbetreibern entstand vermutlich Unsicherheit. Unsicherheit führt zu Angst und Angst ist eine ungeheure Macht, die sich unter anderem in unserem Bedürfnis nach Sicherheit ausdrückt. Und dieses Bedürfnis scheint der Link-Disclaimer irgendwie mental zu befriedigen. Er schützt uns vor Klage. Er schützt uns vor Rechtsstreitigkeiten. Mit Hilfe des Disclaimers distanzieren wir uns. Wir distanzieren uns pauschal von den Inhalten, die wir verlinken. Wir distanzieren uns von allen Seiten im Internet. Wir distanzieren uns ohne Ausnahme von allen Dingen, welche nicht unsere eigenen sind.

Du bist der Disclaimer

In Wahrheit ist jeglicher zentrale Hinweis, welcher eine Distanzierung zu anderen verlinkten Internetseiten zum Ausdruck bringt, nichtig. So einfach ist das. Der Disclaimer ist nichtig. Der Disclaimer ist wirkungslos. Der Disclaimer hat keinerlei Relevanz. Du kannst es abstreiten. Du kannst mit aller Heftigkeit protestieren. Du kannst weinen. Ein Disclaimer auf deiner Internetseite schützt dich nicht. Du kannst dich damit nicht aus der Verantwortung entlassen und du kannst deine persönliche Haftung damit nicht ausschließen. Und das ist gut so. Sonst wäre das ein Freibrief. Wir könnten ohne Rücksicht tun und lassen, was wir wollten. Und niemand könnte uns dafür verantwortlich machen. Schließlich haben wir uns disclaimt. Wir haben uns selbst aus der Verantwortung entlassen und jegliche Haftung ausgeschlossen. Ätschibätsch.

Glücklicherweise funktioniert das so nicht. Wenn sich deine Internetseite primär an Nachwuchsterroristen richtet und eine Anleitung zum Bau vom Bomben verlinkt, du haftest. Wenn du für das Kopieren von Musik plädierst und eine Software verlinkst, welche kopiergeschützte Musik befreien kann, du haftest. Wenn du noch böse auf deine ehemalige Freundin bist, weil sie dich verlassen hat, und ihre schmutzigen Spuren im Internet verlinkst, du haftest. Ein Disclaimer wird dich in keinem dieser Fälle schützen. Umgekehrt, auch ohne Disclaimer, du haftest nicht, wenn du eine brave Internetseite verlinkst, welche ein Jahr später unartig wird. Du haftest auch nicht, wenn du eine gute Internetseite verlinkst, die irgendwo noch eine böse Unterabteilung hat. Du musst nicht darauf hinweisen, dass du die verlinkten Seiten geprüft hast. Das kann schließlich jeder sagen und behaupten. Du musst es einfach nur tun.

Du selbst bist der Disclaimer. Deine Internetseite ist der Disclaimer. Dein Inhalt ist der Disclaimer. Der Kontext um den Link herum ist der Disclaimer. Auf diese Art und Weise begründet sich eine Distanzierung oder Eigenmachung der verlinkten Inhalte. Du kannst nicht andere Seiten empfehlen (zu Eigen machen) und dich gleichzeitig davon distanzieren. Alles hängt daran, auf welche Art und Weise dein Inhalt auf den Link referenziert. So ein kleiner Hyperlink ist letztlich nur ein technisches Element. Aber seine Bedeutung erhält er allein durch dich.

Weg mit dem Disclaimer! Er ist hässlich. Er nimmt nur Platz und Buchstaben weg. Niemand hat jemals deinen Disclaimer gelesen (es sei denn, er kupfert ihn für seine eigene Internetseite ab). Disclaimer erfüllen keinerlei Zweck. Man kann damit die eigene Haftung weder ausschließen, verringern oder verändern. Eigentlich ist dieses Thema ja ein alter Hut und wurde schon ausgiebig im Internet diskutiert. Streng genommen sind die meisten Disclaimer sogar rechtswidrig. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, in denen ein Disclaimer notwendig ist. Und Betriebsanleitungen für das Internet braucht auch kein Mensch. Jeder Nutzer weiß, dass Internetseiten normalerweise Links auf andere Internetseiten enthalten. Das muss man ihm nicht erklären. Ein Disclaimer ist Kleingedrucktes und Kleingedrucktes mag niemand. Kleingedrucktes ist unehrlich und einseitig (sonst wäre es ja nicht kleingedruckt). Also weg damit! Mach es besser!

Dein Blog ist mein Blog

Abseits aller rechtlichen Interpretationen empfinde ich einen Disclaimer ebenso politisch. Er ist nicht nur technisch, sondern auch emotional. Er schiebt eine gedachte und gewünschte Distanz in den Raum. Diese Distanz befindet sich zwischen dir und mir. Diese Distanz befindet sich zwischen deinem Blog und meinem Blog. Ich lehne diese Distanz ab. Denn sie fühlt sich an wie ein Verrat. Es ist Ablehnung und Zustimmung im gleichen Atemzug. Es ist ein stilles Misstrauen. Und es ist eine Lüge. Denn ich vertraue dir und ich empfehle dich, durch einen Link. Nicht aus Freundschaft, sondern auch weil ich dich brauche. Dein Blog liefert die Inhalte, die ich selbst nicht habe. Dein Blog macht mein Blog besser. Dein Blog ist mein Blog.

Über den Autor
Marco Hitschler wohnt in Mannheim und schreibt auf diesem Blog beliebige Texte in das Internet hinein. Sein Handwerk ist die Informatik und beruflich arbeitet er im Projektmanagement. Wenn man einmal mit dem Bloggen angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören. Furchtbar! Infolgedessen wird auf diesem Blog ganz kunterbunt in verschiedenen Formaten publiziert.
4 Kommentare
  1. Heike 4. Januar 2014

    Komplett gelesen & für toll befunden! Jetzt muss ich dich nur noch irgendwo verlinken :-)

  2. Nicole Stroschein 4. Januar 2014

    Ich ziehe ja in Erwägung, eine Art Beipackzettel zu meinen Surftipps zu formulieren. In der Art von: Vorsicht! Wenn Sie auf den folgenden Link klicken und unmus besuchen, ist es möglich, dass Sie mit der Wahrheit konfrontiert werden. Oder: Achtung! unmus und das unternehmerhandbuch schreiben über Dinge, die relevant sind. Sie tun das mit Sorgfalt und Intelligenz – sollten Sie damit nicht umgehen können, sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt :)

  3. Stefan 5. Januar 2014

    Toller sowie genial und intelligent formulierter Beitrag, aber dieser „Auszug“ mit dem Verweisen auf Links steht auch meistens in einem Impressum. Ist das dann genau so unsinnig oder unwirksam im rechtlichen Sinne?

    Weil ich meine mal gehört/gelesen zu haben, das sobald du im Internet eine Webseite betreibst auf der du offensichtlich Werbung anzeigen lässt, auch ein Impressum nötig ist sofern du in Deutschland lebst. Richtig oder Falsch?

    Obgleich dann noch die Frage zu klären wäre, WAS oder WIE genau definiert sich Werbung? Weil so ein Hyperlink ergo LINK ist im übertragenden Sinne auch Werbung, von Dir zu/für eine andere Webseite. Ob nun unentgeltlich oder nicht, wer als Aussenstehender kann das schon genau überprüfen und dir dann somit auch lückenlos nachweisen?

    Fragen über Fragen… :-)

  4. marco 5. Januar 2014

    Danke! :-)

    @Stefan
    Impressum und Disclaimer sind unterschiedliche Dinge. Das Impressum hat hauptsächlich den Zweck, den Verantwortlichen der Publikation auszuweisen. Im Impressum wird meistens auch der Disclaimer aufgeführt, richtig. In welchen Fällen ein Impressum notwendig ist, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Deswegen empfehle ich auch, immer ein Impressum in eine Internetseite einzubauen. Dann muss man sich mit der Frage nicht mehr weiter beschäftigen. Und irgendwie gehört das auch zum guten Ton.

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