Ich habe keinen Fernseher. Spätestens jetzt halten mich die meisten Leute für komisch. Der Blick verdreht sich und das Gedankenkino ist nicht zu verbergen. Schließlich kann man nicht nicht kommunizieren. Ab sofort gelte ich als irgendwie anders. Ich spüre förmlich die Schublade. Fast unbemerkt mischt sich in die Verwunderung auch eine leichte Prise von stillem Respekt hinein. Dabei ist alles nur ein Irrtum. Ich mag das Fernsehen. Sehr sogar. Die Filme, die Serien, die Dinge drum herum. Ein gemütlicher Fernsehabend nach dem Essen auf dem Couch gehört doch zu den schönsten Dingen überhaupt. Wer mag schon freiwillig darauf verzichten? Und trotzdem kommt mir das klassische Fernsehen mittlerweile ziemlich altmodisch vor.
Eigentlich gibt es für mein Leben ohne Fernseher eine ganz einfache und langweilige Erklärung. Als ich damals bei meinen Eltern (relativ spät) ausgezogen bin, fing ich komplett bei Null an (macht ja eigentlich jeder so). Nachdem ich den Mietvertrag unterschrieben hatte, blieben mir bis zum Einzug noch drei Monate Zeit. Diese Zeit nutzte ich, um mir alles notwendige zu beschaffen. Ich hatte mir eine MindMap erstellt. Darauf waren alle Dinge notiert, die ich zum Leben brauchen vermutete. Küche, Bett, Schrank, Tisch, Stühle, Musikanlage, Kaffeemaschine, Wasserkocher, Bettwäsche, Geschirr, Töpfe, Pfeffermühle, Handtücher, Antirutsch-Badewannen-Einlagen und vieles vieles mehr. Zuhause bei meinen Eltern stapelten sich nach ein paar Wochen überall Kartons. Ich hatte mir irgendwie vorgenommen, die Situation, in der man bei jedem zweiten Handgriff denkt, diese Sache fehlt mir auch noch, zu vermeiden. Und dieser lustige Plan ging tatsächlich auf. Jedenfalls, insgesamt hat mich das zehntausend Euro gekostet und für den Fernseher blieb dann einfach nichts mehr übrig. Ich wollte auch keinen Kompromiss machen. Entweder ein richtig großes und modernes Fernsehgerät oder gar keins.
Dazu ergänzend wollte ich mein kleines Wohnzimmer nicht komplett auf den Fernseher ausrichten. Das ist der Nachteil an der Sache. Einfach einen Fernseher ins Wohnzimmer zu stellen, das reicht nicht aus. Man muss den Raum auf das Fernsehgerät konfigurieren, sonst macht es keinen Spaß. Die Couch muss zwingend direkt im neunzig Grad Winkel davor platziert werden, ist klar. Der Esstisch darf aber auch nicht so weit weg sein und braucht ebenfalls direkten Sichtkontakt. Der direkte Sichtkontakt durch das Fenster von außerhalb der Wohnung ist dagegen natürlich verboten. Und die Einfallwinkel der Sonnenstrahlen unter Berücksichtigung der Tageszeiten darf man auch nicht vergessen. Alles ganz schön kompliziert. Über den kleinen Beistelltisch zum Sofa haben wir jetzt noch gar nicht geredet. Letztlich nimmt der Fernseher ganz automatisch den Mittelpunkt ein und alles andere wird nach ihm gerichtet. Irgendwie wollte ich das nicht. Ich hatte nicht viel Platz und wollte anderen Dingen mehr Raum geben.
Dieses Leben ohne Fernseher schenkte mir eine sehr lebendige und farbenfrohe Zeit. Denn ich musste jeden Moment aktiv durchleben und es gab kaum Gelegenheiten, in denen ich mich auf eine passive Teilnahme zurückziehen konnte. Und zeitglich führte es zu sehr schönen Ritualen und einem sehr bewusstem Fernsehkonsum. Dienstags im Privatfernsehen kam damals Dr. House. Ich mochte diese Serie irgendwie. Und so besuchte ich jeden Dienstag meine Familie. Wir bestellten Pizza, tranken dazu Wein und schauten alle zusammen Dr. House. Der Dienstag entwickelte sich für die ganze Familie zu einem Alltagsjuwel. Jeder freute sich darauf, jeder nahm sich Zeit. Es war eine wunderbare Zeit.
Fußball interessiert mich eigentlich nicht allzu sehr. Aber einem Länderwettbewerb konnte ich mich noch nie entziehen. Das ist einfach unglaublich aufregend. All die Emotionen, all die Anspannung, all der Kampfgeist. Man kann sagen, was man will. Eine Fußballweltmeisterschaft ist die größte Veranstaltung, die es auf unserer Erde gibt. Die ganze Welt feiert ein Fest. Kein Ereignis bewegt mehr Menschen. Mich hat es beispielsweise immer in die Kneipen bewegt. Oder zu Freunden. Oder auf öffentliche Plätze. Prinzipiell bin ich ein eher introvertierter Mensch und durchlebe viele Momente am Liebsten für mich allein. Und an dieser Stelle hat mich die Fußballweltmeisterschaft ohne Fernseher ein Stück weiter gebracht.
Meine ganze Familie liebt Weihnachten. Es ist für uns eine besondere Zeit. An Weihnachten sind wir in meiner Familie meistens sehr müde. Kraftlos und strapaziert von allen Dingen, die das zurückliegende Jahr geschehen sind. Weihnachten ist ein Fest. Ein Fest wird gefeiert. Es wird gesungen, es wird getanzt, es wird gejubelt (im bildlichen Sinn). Dazu fehlte uns aber schon immer die Kraft, für uns war es schon ein Geschenk, dass wir zusammen waren. Es war für uns alle schon ein ganz tolles Gefühl, wenn wir abends gemeinsam einen schönen Film ansahen. Und das zelebrierten wir richtiggehend. Jedes Kind nahm von zuhause seine persönliche Filmjahresauswahl mit. Jeden Tag diskutierten wir stundenlang darüber, welcher Film die beste Wahl für den Abend sei. Das war so lustig. Vor Filmbeginn dauerte es eine gefühlte Ewigkeit bis wir endlich starten konnten. Bis jeder seinen bequemen Platz gefunden hatte, alle etwas zu knappern hatten und die Gespräche ausklangen. Auf dieses liebenswürdige Theater freuen wir uns jedes Jahr.
Gemeinsam mit dem Partner einen Fernsehabend auf der Couch zu verbringen. Das ist wunderbar oder etwa nicht? Ja, es ist wunderbar, aber kann auch extrem langweilen, wenn man jeden Abend nur den Fernseher anmacht. In diese Situation kam ich zum Glück durch das fehlende Fernsehgerät nie. Und irgendwie war ich auch ein bisschen stolz darauf, dass meine Liebste und ich gezwungen waren, uns gegenseitig miteinander zu beschäftigen. Was uns zu sehr viel Nähe, Wärme und Verbundenheit geführt hat.
Eigentlich habe ich auch am Liebsten Fernsehen geschaut, wenn ich alleine war. Da wird man nicht gestört und kann vollständig in den Film eintauchen. Man kann sich innerlich gehen lassen und muss sich für Tränen nicht schämen. In Wahrheit muss man sich natürlich niemals für Tränen schämen, aber wir tun es trotzdem, und sind in jeder Gemeinschaft immer angepasst. Ohne Fernsehen nutzte ich mein Notebook, um mir ab und an, an schönen Tagen, an denen ich mit mir alleine war, einen Film zu schauen. Entweder waren das DVDs oder ich lieh mir einen Film im iTunes aus. iTunes ist wirklich eine wunderbare Sache. Tausende von Filmen, auf Klick abrufbereit. Was waren das für Zeiten, als man für einen Filmabend noch in die Videothek gehen musste. Man musste die Filme holen und auch wieder zurück bringen. Dazu brauchte man einen Videothekenausweis und jeder Tag wurde berechnet. Und jetzt? Klick, und der Film läuft.
70 Jahre lang bestimmte das Fernsehprogramm, welche Sendungen wir uns anschauen konnten. Das Programm wurde fortlaufend ausgestrahlt. Jeder Filme, jede Serie, jede Show hatte ihren Tag und ihre Zeit. Und wir mussten uns nach dem Programm richten. Wir mussten pünktlich zuhause sein. Wir mussten pünktlich den Fernseher einschalten. Wir durften nicht gestört werden. Und wenn uns das nicht gelang, dann war die Sendung verloren. Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen. Heute sind wir in der Lage, Fernsehsendungen gezielt abzurufen. Wir können bestimmen, was wir schauen, wann wir schauen, worauf wir schauen. Die Technologie des internetbasierten Fernsehens hat sich die letzten Jahre berauschend gut entwickelt. Und so wie sich die Technologie verändert, genauso verändert sich auch unser Leben.
Mittlerweile gibt es sehr viele Internetvideotheken, bei denen wir auf Knopfdruck gegen Gebühr einen Blockbuster einmalig abrufen können. Neben dem wunderbaren iTunes wären da beispielsweise Videoload von der Telekom oder Maxdome von United Internet. Es gibt aber auch Abodienste wie Lovefilm von Amazon oder Watchever von Vivendi. Gegen eine Gebühr erhalten wir unbegrenzt Zugriff auf das komplette Filmarchiv des Anbieters. Aber auch das klassische Fernsehen hat aufgerüstet, neben Kabel und Satellit können wir es auch über das Internet (von der deutschen Telekom) beziehen. Damit einhergehend kamen viele neue Features. Unterwegs den Videorekorder über das Smartphone zu programmieren ist nur eine der neuen Funktionen. Und die Fernsehsender selbst haben sich ebenso weiterentwickelt und halten inzwischen fast alle Eigenproduktionen zum Abruf über das Internet bereit. Sendung verpasst, kein Problem. Es gibt Mediatheken von ARD, ZDF, RTL und vielen weiteren Sendern. Um all die schönen Dingen zu genießen, müssen wir uns nicht mehr vor den Computer setzen. Das Internet ist inzwischen überall. Wir können über Apple TV und vergleichbare Geräte auf all diese Inhalte zugreifen und auf den Fernseher bringen. Auch die Videokonsolen wie Xbox und Playstation sind für das Fernsehen aus dem Internet gerüstet. Viele Fernsehgeräte können mittlerweile aber auch über eigene Apps auf diese Inhalte zugreifen. Und nicht nur das. Auch iPad, iPhone und Co können wunderbar zum Fernsehen genutzt werden.
Vor einiger Zeit habe ich LOST für mich entdeckt. Die Serie LOST ist großartig, einzigartig und einfach nur beispiellos. Aber für die meisten Zuschauer eigentlich ein alter Hut. Die Serie hat 6 Staffeln und ist schon lange ausgestrahlt. Das machte aber nichts, dank der neuen Internetdienste konnte ich mir die Serie nun viele Jahre später immer noch ansehen. Und zwar an einem Stück in meinem eigenen Tempo. LOST hat Kultstatus unter den Serien-Fans. Aber ich frage mich oft, wie die Leute das damals gemacht haben. Jede Woche nur eine Folge. Und das fast 10 Jahre lang. Verpasste man eine Folge, fehlten wichtige Details und Handlungsstränge. Von der Spannung gar nicht erst zu sprechen. Das muss doch furchtbar gewesen sein.
All diese Technologie hat mich wieder näher zum Fernsehen gebracht. Obwohl ich immer noch kein eigenes Fernsehgerät besitze. Wenn ich an all die langweiligen Abende in meiner Kindheit zurück denke, an denen nichts Interessantes im Fernsehen lief. Jetzt kann ich jederzeit genau das schauen, was ich mag. Ich muss mein Leben nicht mehr nach dem Fernsehprogramm richten. Ich kann die Filme genau dann schauen, wann es für mich passt und richtig ist. Und das nicht nur zuhause, sondern überall auf jeglichem Gerät, das mir gerade zur Hand ist. Das ist wirklich wunderbar. Fernsehen ist offener geworden. Fernsehen ist flexibler geworden. Und damit haben wir nun viel mehr Möglichkeiten, die uns den Raum geben, Fernsehen ganz bewusst und in völlig neuer Qualität zu erleben.