Apple Watch – Yes or No?

Handy? Braucht kein Mensch! Das hat man früher tatsächlich gesagt. Das Gleiche hat man übrigens auch zum Smartphone gesagt. Und Tablets hat natürlich auch kein Mensch gebraucht. Irgendwie komisch, immer wenn kein Mensch eine Technologie braucht, setzt sich die Technologie durch. Derzeit führt man die Diskussion bei Smartwatches im Allgemeinen und der Apple Watch im Speziellen, die braucht halt auch kein Mensch. Jetzt könnte man einräumen, eine Smartwatch ist nur sehr bedingt mit dem Smartphone vergleichbar. Schließlich hat uns Smartphone eine ganz neue Welt eröffnet und implizit das mobile Internet gebracht. Andererseits trägt heute schon beinah jedermann eine Uhr am Handgelenk. Die Smartwatch steht ja noch ganz am Anfang. Sie ist etwas völlig neues und jetzt muss man erst einmal herausfinden, was man künftig mit diesem Gerät alles machen könnte. Und was man heute schon mit einer Smartwatch machen kann, davon soll hier am Beispiel der Apple Watch erzählt werden.

Einführung

Ich kann mich noch gut an die Keynote vom 9. September 2014 erinnern, in dessen Rahmen die Apple Watch vorgestellt wurde. Die Inszenierung war schon ein bisschen magisch. Endlich war es da, das One More Thing. Und die Freunde der Marke waren richtig elektrisiert. Man konnte es ihnen kaum verdenken, denn die Apple Watch überraschte mit vielen liebevollen Details. Man hatte tatsächlich das Gefühl, hier hat sich jemand richtig Gedanken gemacht.

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Man kann die Uhr durch Berührung auf dem Display oder mit der Krone steuern. Der Bildschirm ist farbig und hochaufgelöst; Pixel sind nicht zu erkennen. Ein integrierter Sensor misst den Puls und der Akku lädt drahtlos. Man kann sogar Apps drauf installieren! Apps! Genauso wie beim Smartphone! Und das Display besteht aus Saphirglas – das zweithärteste transparente Material nach Diamant. WTF?!?!?!? Das gibt’s doch nicht! Man kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Eine neuer Gerätetyp

Die Uhr ist ein komplett neuer Gerätetyp. Und bei neuen Gerätetypen ist es immer so, am Anfang weiß man noch nicht so richtig, was man damit alles anstellen kann. Und weil man das vorher nicht weiß, geht man hin und baut erst einmal pauschal die Funktionen ein, die man von ähnlichen Geräten her schon kennt. Deswegen kann man auf der Apple Watch beispielsweise eMails lesen. Oder Fotos anschauen. Sogar ein Musikplayer ist eingebaut.

Screenshot: Mail, Photos, Musikplayer

Genau das wollte ich auf einer Uhr natürlich schon immer mal machen! eMails bearbeiten und Fotos anschauen – auf einem winzigen Display! Die Uhr eignet sich nämlich für diese Dinge genau nicht! Es macht auch keinen Sinn, Funktionen auf einer Uhr nachzubauen, die das Smartphone eigentlich viel besser kann. Aber wofür brauch ich dann eine Smartwatch überhaupt? Die gleiche Frage könnte man sich übrigens auch beim Smartphone stellen. Denn es gibt eigentlich ganz wenige Dinge, welche das Smartphone besser kann als ein Computer. Und trotzdem gibt’s hunderte von Situationen, wo das Smartphone haushoch überlegen ist. Und genauso ist es ein bisschen auch mit der Apple Watch. Die Uhr spielt ihre Stärken in spezifischen Szenarien aus, in denen das Smartphone versagt. Letztlich geht’s um kurze Handgriffe und Bequemlichkeit.

Das Telefon am Handgelenk

Mit der Apple Watch kann man tatsächlich auch richtig telefonieren. Was im ersten Moment ziemlich cool klingt, erscheint im zweiten Moment ziemlich unnötig. Kein Mensch will mit seiner Uhr telefonieren. Das Telefonieren erfordert eine Position des Armes, welche ziemlich unbequem ist. Und ein bisschen komisch sieht das auch aus. Zumindest habe ich mir schon Sorgen gemacht, ob ich damit in der Öffentlichkeit meinen Doppelnullstatus verrate. Trotzdem gehört das Telefonieren zu meinen Lieblingsfunktionen der Apple Watch.

Screenshot: Eingehender Anruf

Der Klingelton meines Smartphones ist nämlich prinzipiell sehr leise eingestellt, weil ich laut klingelnde Telefone nicht mag. Was in der Konsequenz dazu führt, dass ich das Klingeln oft nicht höre und mir die Gespräche verloren gehen. Die Apple Watch vibriert dagegen sanft am Handgelenk, wenn ein Gespräch eingeht. Der Name des Anrufers wird natürlich auf dem Display angezeigt. Was cool ist, weil man sich dann noch mal genau überlegen kann, ob man das Gespräch annehmen möchte. Was mir aber am Besten gefällt, ist der Sachverhalt, dass man das Gespräch auch direkt auf der Uhr ablehnen kann (was ich dann meistens auch tue). Und selbst die Annahme des Gesprächs auf der Uhr hab ich zu schätzen gelernt. Mir gehen nämlich Telefonate oft auch dadurch verloren, weil ich es nicht schaffe, das Smartphone rechtzeitig aus der Handtasche zu holen. Wenn man das Gespräch aber mit der Uhr annimmt, muss man das Gespräch gar nicht vollständig auf der Uhr führen, sondern kann erst mal Hallo sagen, in Ruhe das iPhone suchen und dann das Gespräch von der Uhr auf das Smartphone legen.

Wohin des Weges?

Bei meinem ersten iPhone hat mich übrigens die Lokalisierung mit am meisten beeindruckt. In fremden Städten konnte man sich einfach lokalisieren lassen und sich die Wegstrecke zum Ziel einblenden lassen. Operativ als Fußgänger empfand ich diese Funktion aber irgendwie anstrengend. Man wusste nie, wie man das Smartphone halten sollte, damit die Karte auch dem eigenen Sichtfeld entspricht. Bei der Wegführung musste man die ganze Zeit das Smartphone in der Hand halten, was gar nicht so einfach ist, wenn man viele Taschen mitführt. Oder man hat es alternativ immer wieder zur Orientierung aus der Handtasche hervor geholt, was eigentlich auch nicht besser ist. Und genau hier bei der Navigation als Fußgänger ist die Apple Watch dem Smartphone haushoch überlegen. Einmal Ziel einstellen und loslaufen. Ein Blick auf die Uhr geht wesentlich leichter von der Hand, ist aber genauso unnötig. Denn die Apple Watch signalisiert durch Vibration, wenn man links oder rechts abbiegen muss. Sie vibriert dreimal bei links und zwölfmal bei rechts. Man kann quasi einfach loslaufen und muss sich keine weiteren Gedanken machen.

Screenshots: Übersicht Wegstrecke, Navigation, myTaxi

Und wer zum Laufen zu faul, kann sich mit der Apple Watch auch ein Taxi rufen. Dafür gibt es Apps wie myTaxi. Und das funktioniert so: Man öffnet das App und sogleich wird das nächste freie Taxi in der Umgebung gesucht. Danach wird die Ankunftszeit angezeigt. Es gibt nur eine Schaltfläche und die lautet „Taxi rufen“. Drückt man drauf, kommt das Taxi. Das war eigentlich schon alles. Die Uhr übermittelt dabei automatisch den eigenen Standort an den Taxifahrer. Und auch das Bezahlen ist über die Uhr möglich.

Eintrittskarten

Wenn das Taxi dann nicht das eigene Zuhause anfährt, sondern beispielsweise eine Messe oder eine Konferenz und diese Veranstaltung auf der Höhe der Zeit ist, braucht man keine Eintrittskarten mit sich zu führen, sondern kann sich die Eintrittskarte direkt auf die Uhr speichern. Am Eingang muss man dann nur kurz den Arm heben (damit der QR-Code gescannt werden kann). Besonders für Vielflieger ist diese Funktion nützlich. Flugtickets können durch den gleichen Mechanismus auf der Uhr abgelegt werden, was viele Fluggesellschaften mittlerweile auch anbieten.

Screenshot: Wallet, QR-Code, Eintrittskarte

Benachrichtigungen

Falls sich der Flieger oder die Bahn sich verspätet, pushen Reisedienstleister oft Nachrichten auf das Smartphone, was sehr praktisch ist. Nur blöd, dass mir das oft gar nichts genutzt hat, weil das Smartphone halt in der Handtasche war und ich die Nachricht nur erhalten hab, wenn ich zufällig grad was anderes mit dem iPhone gemacht hab. Durch die Vibration am Handgelenkt passiert mir das künftig jetzt nicht mehr. Je nach Anwendung lassen sich auch unmittelbar aus der Benachrichtigung heraus, die nächsten Schritte einleiten. Wenn man von eBay die Nachricht erhält, dass man überboten wurde, lässt sich das Angebot erhöhen. Bei Twitter lassen sich Replies faven. Empfangene Kalendereinladungen können mit einem Touch angenommen werden. Und so geht das immer weiter.

Screenshot: Mögliche Aktionen in einer Benachrichtigung zu einer Mention auf Twitter

Diese Notifikationen habe aber nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Das Problem ist, dass zu viele Apps zu viele (unnötige) Benachrichtigungen verschicken, was supernervig ist und die Sache damit wieder ein bisschen kaputt macht. Am Handgelenk möchte man auch nur die absolut wichtigsten Benachrichtigungen haben. Deswegen können die Notifikationen auf der Apple Watch sehr individuell ausgesteuert werden.

Steuerung und Kontrolle

Ich verlasse auch nicht für jede Notifikation die Couch. Am liebsten ist es mir, wenn ich gar nicht erst aufstehen muss, um die Dinge zu tun, die getan werden müssen. Beispielsweise wenn grad ein doofes Lied im iTunes gespielt wird und man das nicht aushalten kann bis das Lied vorbei ist, weil es halt so doof ist. Aber sich von der Coach erheben, um dem Computer zu sagen, spring zum nächsten Lied, ist auch nicht wirklich besser. Solche Situationen lassen sich ganz wunderbar mit der Apple Watch bewältigen (also iTunes steuern).

Screenshot: Fernsteuerung von iTunes und einem Babyphone

Die Steuerung und Kontrolle von anderen Anwendungen, Diensten und Geräten ist überhaupt die wesentliche Stärke der Apple Watch. Das fängt mit dem Babyphone an und hört bei dem eigenen Garagentor auf.

Die Zeit

Selbst bei den ganz gewöhnlichen Aufgaben einer Uhr bringt die Apple Watch sehr viele nützliche Funktionen mit. Wer in einem internationalen Umfeld arbeitet, kann sich flexibel mehrere Uhrzeiten aus verschiedenen Zeitzonen auf das Ziffernblatt legen. Auch althergebrachte und simple Funktionen wie beispielsweise ein Zeitmesser kommt zu neuen Ehren, weil er so einfach und schnell einzustellen ist („Hey Siri Timer 10 Minuten“). Ich nutze das gerne beim Kochen.

Screenshot: Watchface mit Weltzeiten, Timer

Wenn man unter Unpünktlichkeit leidet, kann man sich selbst betrügen und die Uhrzeit generell um ein paar Minuten vorstellen. Der Trick ist, diese Zukunft beschränkt sich allein auf die Anzeige auf dem Ziffernblatt und alle weiteren zeitbasierten Funktionen referenzieren auf die Echtzeit. Das Watchface (Ziffernblatt) lässt sich individuell mit weiteren Funktionen anreichern. Beispielsweise der nächste Termin, die Temperatur oder die Zeit des Sonnenuntergangs. In diesem Kontext gibt es auch eine nützliche Funktion namens TimeTravel. Dabei dreht man die Krone und startet damit eine Art Zeitmaschine auf dem Ziffernblatt. Welche Termine habe ich heute? Regnet es am Nachmittag? Wie kalt ist es heute Abend?

Und sonst?

Die Uhr kann den Herzschlag messen oder die eigenen Schritte zählen, wie man es von Smartwatches auch erwartet. Es gibt eine Vielzahl von Funktionen, welche den eigenen Körper und sein Verhalten dokumentieren. Besonders beim Sport ist das nützlich und hilfreich. Wer Golf spielt, kann mit der Apple Watch sogar seine Abschlagsgeschwindigkeit messen. Der Akku hält ein bis zwei Tage und das ist ausreichend. Das Armband kann problemlos ohne Schuster und Uhrmacher gewechselt werden. Und die Uhr lässt sich optional auch über natürliche Sprache steuern (Siri), was überraschend gut funktioniert. Wasserdicht ist sie übrigens nicht, aber gegen Spritzwasser geschützt.

Screenshot: Puls-Messung, Schrittzähler, Aktivität

Einschränkungen

Es gibt aber auch Defizite. Die Performance der Uhr ist noch nicht akzeptabel. Zwar sind die Animationen flüssig und die Oberfläche reagiert unmittelbar auf die äußeren Knöpfe. Trotzdem entstehen aber immer wieder Wartezeiten beim Starten von Apps. Und diese Wartezeiten sind andere Wartezeiten als die Wartezeiten vor dem Computer. Denn während man wartet, hält man seinen Arm im rechten Winkel vor sich. Und das fühlt sich schon nach wenigen Sekunden sehr unbequem an. Ein anderer Punkt ist das iPhone. Das iPhone ist zwingende Voraussetzung für die Apple Watch. Dies betrifft nicht nur die Aktivierung, sondern auch den täglichen Betrieb. Die Uhr benötigt eine Kommunikationsverbindung zum iPhone über Bluetooth, um die meisten Anwendungen überhaupt auszuführen. Letztlich bedeutet dies konkret, das iPhone darf nicht allzu viele Meter entfernt sein. Der Hintergrund ist, technisch laufen viele Apps eigentlich gar nicht auf der Uhr, sondern entfernt auf dem iPhone. Die Uhr ist strenggenommen also eigentlich nur eine Fernsteuerung und ein remote User Interface. Diese besondere Architektur ist natürlich mitverantwortlich für die langen Wartezeiten.

Screenshot: Watchfaces

Ausblick und Zukunft

Unter dem Strich überrascht die Apple Watch aber durchgängig mit kreativen Ideen. Und zwar nicht nur in neuen Anwendungsbereichen, sondern auch bei den klassischen Funktionen einer Uhr. Sie entfaltet in spezifischen Szenarien einen richtigen Mehrwert, den man schon nach kurzer Zeit nicht mehr missen möchte. Dennoch spürt man an vielen Ecken und Enden, dass es noch ein paar Generationen zur Reife braucht. Es mangelt an Performance, die Uhr funktioniert noch nicht autonom und sie kann nicht eigenständig Verbindungen ins Mobilfunknetz aufbauen. Des Weiteren fehlt noch die Infrastruktur außen rum (das Ökosystem). Und zuletzt sind wir alle auch noch am Lernen, was mit einem solchen Gerät möglich ist und Sinn macht.

Screenshot: Watchfaces

In den nächsten Jahren stehen also interessante Zeiten an. Die Smartwatch wird die Welt sicherlich nicht so gravierend verändern wie es das Internet oder Smartphone getan hat. Aber das Internet der Dinge steht am Horizont und die Smartwatch wird sich mit all diesen Geräten verbinden und den Alltag durch simple Handgriffe und Fernsteuerung ein Stück einfacher machen.

Über den Autor
Marco Hitschler wohnt in Mannheim und schreibt auf diesem Blog beliebige Texte in das Internet hinein. Sein Handwerk ist die Informatik und beruflich arbeitet er im Projektmanagement. Wenn man einmal mit dem Bloggen angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören. Furchtbar! Infolgedessen wird auf diesem Blog ganz kunterbunt in verschiedenen Formaten publiziert.
5 Kommentare
  1. Heike 11. März 2016

    Hm, ich finde sie nicht hübsch & würde sie daher nicht tragen…

  2. marco 12. März 2016

    Über das Design hab ich extra nichts gesagt, weil das keinen Sinn macht, weil jeder Mensch einen anderen Geschmack hat und es daher kein Oben und Unten gibt.

  3. Sven Meyer 12. März 2016

    Es gibt jetzt schon verschiedene Smart Watches (z. B. mit Android), die auch andere Designs haben. Da wird noch einiges passieren :)

    Ansonsten schöne Zusammenfassung. Ich finde noch den Aspekt Gesundheit und „Quantified Self“ super interessant. Es gibt bestimmt bald Apps, die messen, wie oft am Tag der Smart-Watch-Träger raucht. Das wird noch spannend :)

  4. marco 12. März 2016

    Die Pepple gibt’s auch schon in Rund. :-D

    In das Thema Fitness/Gesundheit/QuantifiedSelf hätte ich eigentlich ein bisschen tiefer eingehen können. Bei der Apple Watch ist es so, dass alle gemessenen Daten in die Health App wandern. Dort ist dann alles schön protokolliert. Aber bei der Analyse happerts noch. Die App gibt es nur auf dem iPhone und man kann auf den Datenbestand keine eigenen Abfragen werfen. Aber man kann die Daten schon an Dritte übermitteln (zum Beispiel, wenn man an einer Studie teilnimmt). Die technische Infrastruktur (HealthKit) ist schon da.

    https://developer.apple.com/healthkit/

    Fänd ich gar nicht so schlecht, wenn es eine App gäbe, welche die Anzahl der Zigaretten zählt, und das statistisch aufbereitet (Uhrzeit, Ort, Geschwindigkeit). Liesse sich bestimmt schon algorithmisch messen und ableiten.

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