„Ich hasse alle Menschen!“

Neulich in der Straßenbahn stiegen irgendwann drei junge Frauen zu. Ich spielte gerade gelangweilt mit dem iPhone herum und widmete ihnen keine weitere Aufmerksamkeit. Dann hörte ich aber beiläufig den Satz „Ich hasse alle Menschen!“. Mit diesem unnachgiebigen Statement war mein Interesse geweckt und ich hörte der Sprecherin ein wenig zu. Es folgte der wohl zynischste Monolog, der mir je zu Ohren kam. Er war getragen von einer bitteren Ernsthaftigkeit und nüchternen Akzeptanz. Die Sprachfetzen überboten sich gegenseitig an Distopie als befänden sie sich in einem Wettbewerb der Trostlosigkeit. Alles wäre verloren, Liebe existiert nicht und die Kollegen auf der Arbeit sind alle Idioten. Die zwei anderen stimmten fortlaufend zu, die Rednerin schaute aus dem Fenster und schloss mit dem einleitenden Satz erneut ab, den sie aber noch mal extra betonte, „ich hasse alle Menschen!“

Wie man auch dazu stehen mag, ich kam nicht umhin, ihr Respekt zu zollen. Sauber Mädel, hab ich gedacht. Ich schätzte ihr Alter auf ungefähr Ende 20. Ich bin ja selbst auch ein bisschen ein Melancholiker, aber gegen diese drei Frauen kam ich mir beinah vor wie ein Clown. Ich bekam noch mit, dass die Mädels nicht ortskundig waren und an der Haltestelle Kunsthalle aussteigen wollten. Die Linie fuhr die Haltestelle Kunsthalle jedoch gar nicht an, was ich aber für mich behielt. Als die Straßenbahn die zur Kunsthalle nächstgelegene Haltestelle erreichte, gab ich meinen Reisebegleiterinnen ebenso keinen Hinweis. Die drei Frauen blieben sitzen und die Straßenbahn entfernte sich immer weiter von ihrem Ziel. Das war natürlich etwas gemein von mir, aber mir wäre es beinah wie ein Verbrechen vorgekommen, dieses Hohelied der Misanthropie durch Freundlichkeit zu stören.

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