Wer will, kann aussteigen!

Kurz nach dem ersten Anruf saß ich wieder in der Straßenbahn. Eigentlich wohne ich nur einen Katzensprung vom Hauptbahnhof entfernt. Es sind nur zwei Stationen und es lohnt sich kaum einzusteigen. Ich hatte mir gerade überlegt, was ich mit dem angebrochenen Tag anstellen könnte und dann hat die Straßenbahn mitten auf der Strecke wenige Meter nach ersten Haltestelle einfach angehalten.

Es kommt schon ab und an vor, dass eine Straßenbahn kurz anhalten muss. Manchmal ist die Müllabfuhr beim Ausleeren der Mülltonnen im Weg oder ein Lieferwagen entlädt gerade seine Waren. Die müssen dann immer erst zur Seite fahren. Das geht meistens auch recht schnell. Als dann die Straßenbahn nach zwei Minuten immer noch nicht anfuhr, war das schon verdächtig. In solchen Situationen passiert dann, was in solchen Situationen immer passiert. Die Leute regen sich auf! „Was ist denn jetzt schon wieder los?“ „Scheißbahn!“ „Ich komm zu spät!“ „Bestimmt wieder so ein Idiot, der mit dem Auto die Fahrbahn versperrt!“. Viele Passagiere zückten ihre Handys und begannen zu telefonieren.

Irgendwann ist der Fahrzeugführer durch die Bahn von vorne nach hinten gelaufen und hat irgendwas gemacht. Der Zug hatte hinten keine Kabine, sondern schloss mit einem Wagon für Passagiere ab. Kurz darauf ist die Straßenbahn ganz langsam ein paar Meter zurückgefahren. Interessant, hab ich gedacht. Heißt das jetzt, Rückwärtsfahren ist bei Straßenbahnen speziell abgesichert und man kann nicht einfach so den Rückwärtsgang einlegen? Dann hat die Straßenbahn wieder angehalten und der Fahrzeugführer ist wieder nach vorne gelaufen.

Nach einem weiteren Moment kam die Durchsage, dass die Bahn vorerst nicht weiterfährt und wer will kann aussteigen. Zeitgleich haben sich alle Türen automatisch geöffnet. Mir gegenüber saß eine Agroteenagerin und die ist völlig ausgeflippt. Mein lieber Mann! Ich hatte leicht Sorge, dass sie beim Aussteigen die Bahn auseinander nimmt. Ich bin erstmal sitzen geblieben. Ich hatte es nicht eilig und ich hab die Zeit genutzt, um meine Gedanken treiben zu lassen.

Nach ungefähr 7 Minuten wurde es mir dann aber langweilig und ich bin auch ausgestiegen. Die Ursache war tatsächlich ein schlecht geparktes Auto. Es ragte zu weit auf die Spur und die Straßenbahn kam nicht daran vorbei. „Wie kann man nur?“ „Eingesperrt gehören die!“ „Nur noch Idioten auf der Welt!“ Scheinbar waren alle einer Meinung. Ich musste daran denken, wenn man auf dem Land oder in einer Kleinstadt lebt und auf der Straße fahrende Straßenbahnen nicht zum Alltag gehören, kann das schnell passieren, dass man sein Auto genauso parkt, weil einem die Problematik mit der Straßenbahn nicht bewusst ist. Es ist ja nicht so, dass wir alle nicht schon mal in der Eile ungünstig geparkt hätten.

Die Straßenbahn stand in ihrer Anmut direkt vor einem Wettbüro. Aus dem Wettbüro kamen immer mehr Schaulustige heraus, die wissen wollten, was los war. Die meisten Personen waren südlicher Abstammung. Es hatte sich mittlerweile schon eine mittelgroße Menschenmenge gebildet. Ich hab mir vorgestellt, dass der Fahrzeughalter sich auch in der Menschentraube befindet und sich unter den gegebenen Umständen nicht mehr traut zu outen. Irgendjemand machte dann den Vorschlag, das Auto einfach gemeinsam wegzuheben. Gesagt, getan. Fast sechs Leute versuchten sogleich das Auto anzuheben, aber keine Chance (es war ein SUV).

Kurz darauf traf die VRN-Polizei (Verkehrsbund Rhein-Neckar) am „Tatort“ ein und dokumentierte die Sachlage. Es wurden Abstände vermessen und es wurden Bilder gemacht. Zeitgleich entstand ein weiteres Dilemma. Es war Samstag und es war wie immer viel Betrieb in der Stadt. Das VRN-Polizeiauto verkomplizierte nun zusätzlich die Verkehrssituation, weil es eine Abbiegung versperrte. Die Autos von Hinten konnten nicht mehr vorbeifahren und es kam zum Rückstau. Es ging nichts mehr vor und nichts mehr zurück. Immerhin wurden die neu kommenden Straßenbahnen der Linie durch eine Weiche zuvor auf eine parallellaufende Strecke umgeleitet und das sorgte dort für zusätzliches Chaos.

Ich mag solches Durcheinander und es hat mir richtig Freude bereitet, das ganze Schauspiel zu beobachten. Aber dann war es Zeit zu gehen. Nach drei Minuten hatte ich die nächste Haltestelle erreicht, wo fünf Menschen tapfer auf die Bahn warteten, die einfach nicht kam, obwohl man sie aus der Ferne schon erkennen konnte. Die Welt ist immer noch zu wenig verdigitalisiert, habe ich gedacht. An der Haltestelle gab es weder Lautsprecher noch digitale Anzeigetafeln. Im Vorbeilaufen habe ich die Warteten zugerufen: „Das dauert! Hier kommt erstmal keine Bahn mehr!“

Über den Blogger
Marco Hitschler wohnt in Mannheim und schreibt auf diesem Blog beliebige Texte in das Internet hinein. Sein Handwerk ist die Informatik und beruflich arbeitet er im Projektmanagement. Wenn man einmal mit dem Bloggen angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören. Furchtbar! Infolgedessen wird auf diesem Blog ganz kunterbunt in verschiedenen Formaten publiziert.
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